Bedarf

Der Verein Miteinander leben e.V. unterstützt mit seinem Projekt "OPEN MIND - Leben mit dem gelben Stern" seit 2002 Schulen und Jugendeinrichtungen der Region bei der Vermittlung der Themen "Judentum" und "Holocaust" im Unterricht oder in der Jugendgruppenarbeit. Die Projekterfahrungen der vergangenen Jahre hat dabei, insbesondere auch in zahlreichen Lehrerfortbildungen, gezeigt, dass der Bedarf an geeigneten Unterrichtskonzepten zur zeitgemäßen Vermittlung von Themen wie "Holocaust" oder gerade auch "Aktuelle Formen des Antisemitismus" sehr groß ist. Im Unntericht den Themenkomplex "Antisemitismus" zu behandeln, ist zunehmend mit neuen Herausforderungen verbunden.

So ist in den Zusammensetzungen der Klassen der Anteil muslimischer Kinder gestiegen, die häufig einen vorgeprägten Zugang zum Thema "Judentum" mitbringen, der ganz maßgeblich auch durch den Nahostkonflikt bestimmt. Dieses erschwert es, sich im Unterricht mit dem Thema "Judentum" und "Holocaust" zu befassen, insbesondere wenn dabei Sensibilisierung und Emphatiebildung zur Prävention von Antisemitismus im Mittelpunkt steht. Die Bereitschaft, die Opferrolle des jüdischen Volkes anzuerkennen wird hier in den Widerspruch gesetzt mit der empfundenen "Täterschaft" Israels in der Auseinandersetzung mit dem palästinensischen Volk. Das Thema des "Nahostkonfliktes" muss zunehmend mitgedacht werden, um einen solchen Unterricht sinnvoll zu gestalten. Dies stößt aber vielfach an die Grenzen von gängigen Lehrkonzepten und wird daher ausgeblendet. Zudem zeigen sich Lehrkräfte hier auch häufig wenig in der Lage, eine Diskussion zum Nahostkonflikt argumentativ zu führen.

Weiterhin ist wahrnehmbar, dass auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft antisemitische Tendenzen zunehmend Widerhall finden. Sie äußern sich unter anderem in der Kritik am Vorgehen Israels im Nahostkonflikt, findet sich aber auch in globalisierungskritischen Äußerungen, insbesondere wenn es um die Kritik des globalen Finanzmarktes geht. Antisemitische Stereotypen, die sich dabei kolportieren, werden auch von jungen Menschen wahrgenommen und lassen sich auch im Unterrichtsbetrieb von "Leben mit dem gelben Stern" nachweisen. Die pädagogische Bearbeitung dieser Tendenzen erweist sich als schwierig, da solche Äußerungen vielfach nur einen unterliegenden, sich verfestigenden Antisemitismus erahnen lassen. Konkret und greifbar, wie dieser in neonazitischen Kreisen geäußert wird, artikuliert er sich in der Mitte der Gesellschaft hingegen selten. Hier bedarf es vor allem pädagogischer Konzepte, die für antisemitische Tendenzen sensibilisieren und die Wahrnehmung schärft, wann eine Israelkritik in Antisemitismus umschlägt.

Solche Konzepte müssten ergänzt werden durch einen festen öffentlichen Diskurs, die zusammen mit den jüdischen Gemeinden in der Region eine solche Sensibilisierung in die breite Öffentlichkeit transportiert.


IDEE ZUR KONZEPTWERKSTATT

Entsprechend ist im Verein Miteinander leben e.V. die Idee entstanden, den in den regionalen Schulen gut etablierten Projektzweig "Leben mit dem gelben Stern" als Versuchsraum fortzuentwickeln, um dort mit neue Konzepten zur Vermittlung von Inhalten zu den Themenkomplexen "Antisemitismus", "Aktueller Antisemitismus" oder "Zeitgemäße Vermittlung des Holocaust" Erfahrungen zu sammeln, aus denen sich nachfolgend Unterrichtsleitfäden entwickeln und empfehlen lassen. Dazu kam die Feststellung, dass der Projektträger über die Person der ausführenden Projektleitung in den vergangenen Jahren belastbare Arbeitsbeziehungen zu zahlreichen Experten in diesem Themenbereich aufbauen konnte, deren Mitwirkung eine kontinuierliche, themenspezifische Konzeptentwicklung ermöglichen und so aus dem Versuchsraum eine wirkliche Konzeptwerkstatt entstehen lassen würde.

Bestärkt wurde der Projektträger diese Idee weiter auszuformulieren, durch den Zuspruch maßgeblicher, langjähriger Projektunterstützer wie das Bildungsministerium des Landes Schleswig-Holstein oder das Schulratsamt des Kreises Herzogtum Lauenburg, die einen Bedarf für die konzeptionelle Fortentwicklung nicht nur im Bereich des schulischen Unterrichtes sondern auch für die Einrichtungen der Gedenkstättenpädagogik im Lande sehen.


Vorgehen

Der Prozess der pädagogischen Konzeptentwicklung im schulischen Bereich soll in mehreren Arbeitsschritten erfolgen:

1. Entwicklungsphase

Zusammen mit Experten aus der Region sowie von überregionalen Institutionen inklusive des German Desk der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Israel soll in Form von regelmäßigen, gemeinsamen Tagungen, Werkstätten oder Symposien maßgebliche Erkenntnisse der Antisemitismusforschung zusammengetragen, Best-Practice-Beispiele der Vermittlung begutachtet und eigene Ideen entwickelt werden, um daraus pädagogische Konzepte für die schulischen Unterrichtspraxis zu entwickeln. Dabei soll jedes Jahr ein thematischer Schwerpunkt gebildet werden, der dann intensiv bearbeitet wird, z.B. "Präventionsangebote in der Grundschule", "Antisemitismus im Kontext des Nahostkonfliktes bearbeiten" oder "Schulpatenschaften nach Israel -Prävention durch Begegnung"

2. Testphase

Entwickelte Konzepte sollen nachfolgend in den Unterrichtsbetrieb den Projektes "Leben mit dem gelben Stern" überführt und dort in der schulischen Praxis den Lehrkräften vermittelt und zusammen mit Schulklassen ausgetestet werden. Dazu soll die Stundenzahl des Lehrbetriebes von derzeit 8 Stunden wöchentlich auf 12 Stunden wöchentlich aufgestockt werden. Diese zusätzlichen Stunden sollen nach Möglichkeit auch in Hamburg zum Einsatz kommen, um auch Erfahrungen in großstädtischen Schulen sammeln zu können. Dies impliziert allerdings, dass diese zusätzlichen Stunden dem Bildungsministerium Schleswig-Holstein erstattet werden.

3. Evaluationsphase

Die Erfahrung mit den Unterrichtskonzepten sollen anschließend zusammen mit den beteiligten Lehrkräften und Schüler*innen evaluiert werden und anschließend in der Expertenrunde im Hinblick auf die Wirksamkeit begutachtet werden.

4. Berichtsphase

Es werden jährlich Berichte abgefasst, die diesen Prozess und die erlangten Erkenntnisse beschreibt. Die Berichte werden dem Bildungsministerium sowie interessierten Schulen und Fortbildungseinrichtungen zur Verfügung gestellt und auch in Auszügen über die regionalen Printmedien und Fachjournale veröffentlicht.

Analog wird dieses Verfahren auch zur Konzeptentwicklung unter Beteiligung von Vertreter*innen der jüdischen Gemeinden sowie zivilgesellschaftlichen Vertreter*innen aus Politik, Schule, Kirche, Migrationsarbeit in der Region zur Bearbeitung von "Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft" angewandt, die in den Prozess eingebunden werden sollen.